Stiftsbibliothek St. Gallen – einer der wichtigsten Kolumbansorte
Stiftsbibliothek St. Gallen – einer der wichtigsten Kolumbansorte
Die Stiftsbibliothek St. Gallen gehört zu den bedeutendsten und ältesten historischen Bibliotheken der Welt. Und sie besitzt den schönsten Bibliotheksraum, den man sich nur denken kann. Die Sammlung geht auf die Ankunft des heiligen Gallus in St. Gallen im Jahr 612 zurück, der seinen Schüler, den Diakon Johannes, drei Jahre lang in den heiligen Büchern unterwies, die er mit sich gebracht hatte. Die Erinnerung an Kolumban, den Lehrer von Gallus, wurde zunächst mit der Reliquie seiner Kambutta gepflegt, dem Abtsstab, den Kolumban bei seinem Tod Gallus zukommen liess. Natürlich war ihm auch ein Altar in der Galluskirche geweiht. Vor allem aber pflegte das Kloster St. Gallen auch das kolumbanische Schrifttum, das hier mehrfach in ältester und bester Überlieferung erhalten geblieben ist. Das gilt für das Kolumbansleben des Jonas, dem wir die meisten Informationen zum Verlauf des Kolumbanswegs entnehmen, aber auch für seine Regel, seine Gedichte und seine Briefe. Wer den wunderbaren Barocksaal der Stiftsbibliothek betritt, begegnet somit auch Kolumbans geistigem Vermächtnis, das sich in St. Gallen so schön wie nirgends sonst erhalten hat.
Kolumban und Gallus
Das Verhältnis zwischen Kolumban und Gallus war grundlegend für die Entstehung der Stadt St. Gallen. Wesentlich dabei war, dass Gallus mit dem Tod Kolumbans 615 vom Fluch befreit wurde, keine Messe lesen zu dürfen. Erst jetzt war er in der Lage, selber eine Gemeinschaft von Mönchen um sich zu scharen, und erst dadurch wurde es möglich, dass eine bleibende Siedlung entstehen konnte.
In Bregenz kam es wohl 611 zur Krise zwischen Gallus und Kolumban. Viele Jahre war Gallus seinem Lehrer gefolgt, aber jetzt hatte er wohl genug, Er wollte nicht mehr. Während Kolumban mit seiner Mönchsgruppe über den Septimerpass zog, blieb Gallus offenbar krank zurück. Er ging nach Arbon und wude dort im Haus des Priesters Willimar gesund gepflegt. Wenig später zog er in die Wildnis oberhalb des Bodensees und gründete an einem Wasserfall der Steinach zunächst eine Einsiedelei, die aber schon bald zur Mönchssiedlung, zu einem ersten Kloster an diesem Ort, wurde. Mit der Klostergründung folgte Gallus seinem Lehrer. Er scheint aber stärker empathisch veranlagt gewesen zu sein, wurde bekannt als Ratgeber und Heiler. Es gelang ihm genau wie Kolumban, sein Werk nachhaltig zu gestalten. Eine Siedlung wurde gebaut und sein Grab wurde zu einem ausstrahlenden Ort. Letztlich geht das Kloster St. Gallen auf Gallus und das Jahr 612 zurück, auch wenn es Otmars bedurfte, die monastische Tradition 719 neu zu beleben.
Im Verhältnis zwischen Kolumban und Gallus gibt es zwei Schlüsselmomente, die einander bedingen. Zum einen das Verbot Kolumbans an Gallus, die Messe zu leben, solange er selber lebe. In der Frühzeit der Klöster, in der wir uns befinden, war das Priestertum nicht zwingend für einen Mönch. Gallus konnte also seinen spirituellen Weg weiterverfolgen. Es war jedoch schwierig, ohne die Feier der Messe einen spirituellen Ort aufzubauen, der die Menschen binden konnte. Es ist ein bisschen vergleichbar mit dem heute noch in der katholischen Kirche geltenden Verbot für Frauen, Priesterinnen zu werden. Damit wird zwar die spirituelle Entfaltung nicht verhindert, aber doch wesentlich gehemmt. Als Missionar wurde Gallus also von Kolumban zurückgebunden. Umso wichtiger war die zeitliche Limite. Mit dem 615 eintretenden Tod des Lehrers wurde der Fluch des Schülers gelöst.
Kolumban selber hat seine Beziehung zu Gallus durch eine weitere Geste auf schöne Art unterstrichen, die uns im Gallusleben überliefert ist. Er bestimmte auf dem Totenlager, dass sein Abtsstab, die irische Kambutta, Gallus übergeben werden solle. Das war nicht nur eine Freundlichkeit, sondern ein rechtlich relevantes Zeichen. Mit der Stabübergabe machte Kolumban Gallus nämlich nach damaligem Brauch zum Abt und befähigte ihn damit, eine Gemeinschaft zu gründen, was dann auch tatsächlich geschah.
So hat das Verhältnis zwischen diesen beiden Männern, Kolumban und Gallus, auch den Vorgang der Entstehung St. Gallens bestimmt. Zunächst lebte Gallus an der Steinach als Einsiedler ohne priesterliche Funktion. Nach dem Tod Kolumbans formte er, wieder zum Sakrament befähigt und mit der Kambutta seines Lehrers sichtbar als Abt eingesetzt und gestärkt, aus der Einsiedelei eine Mönchssiedlung, ein erstes Kloster an der Steinach. Um dieses wiederum bildete sich bereits in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts eine erste weltliche Siedlung: St. Gallen. Archäologische Ausgrabungen bestätigen diese Entwicklung in ihren Grundzügen.
Cornel Dora, Stiftsbibliothekar